Mercedes-Benz Experimentalfahrzeug C 111-II
Er läuft! Nach einem halben Jahrhundert ist es den Experten von Mercedes-Benz Klassik gelungen, eines der legendären C 111-II Experimentalfahrzeug mit Wankelmotor mithilfe eines 3D Druckers wieder zum Leben zu erwecken. Dieser Traumwagen, der nie in Serie ging, wird nun in Pebble Beach nicht nur ausgestellt, sondern auch gefahren.
Faszinierende Sportwagenikone und Medienliebling, rollendes Labor für die Entwicklung des Wankelmotors sowie zur Erprobung neuer Technologien, legendärer Rekordwagen: Keine Frage, der Mercedes-Benz C 111 ist ziemlich facettenreich. Seine zweite Entwicklungsstufe ist der C 111-II mit der 257 kW (350 PS) starken Vierscheiben-Ausführung des Rotationskolbenmotors M 950 F (viermal 602 Kubikzentimeter Kammervolumen).
Premiere: Vorgestellt wird der Supersportwagen vor 50 Jahren auf dem 40. Genfer Automobilsalon vom 12. bis 22. März 1970. Der 1.120 Millimeter flache neue Flügeltürer mit 2.620 Millimeter Radstand hat eine Karosserie aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK), die mit der Rahmenbodenanlage aus Stahlblech verschraubt ist. Seine Höchstgeschwindigkeit beträgt bis zu 300 km/h. Ein Exemplar des Mercedes-Benz C 111-II in der charakteristischen Lackierung „Weißherbst“ steht im Mercedes-Benz Museum im Ausstellungsbereich „Faszination Technik“ – und ist nach wie vor ein Publikumsmagnet:
Weiterentwicklung: Der C 111-II entsteht auf Basis des im Herbst 1969 präsentierten C 111. Technisch zeichnet er sich insbesondere durch den Vierscheiben-Wankelmotor aus, einen echten Sportmotor. Die Designentwicklung unter der Leitung von Bruno Sacco und Josef Gallitzendörfer beginnt im Sommer 1969. Unter anderem verbessert sich gegenüber dem Vorgänger die Sicht des Fahrers durch Veränderungen an Kotflügeln, Dach und Heckdeckel. Auch die Aerodynamik ist optimiert: Windkanalmessungen ergeben einen gegenüber dem C 111 um acht Prozent verminderten Luftwiderstand. Das Interieur des C 111-II überzeugt durch seine moderne Ästhetik. Seine Alltagstauglichkeit unterstreicht der Traumwagen zum Beispiel dadurch, dass er Platz für einen großen und zwei kleine Koffer des Mercedes-Benz Koffersatzes bietet.
Dream-Car: Der C 111 ist von Beginn an ein Highlight. Damit geht der Plan des Vorstands der damaligen Daimler-Benz AG auf: Dieser beschließt am 20. Mai 1969, dass der C 111 als „Traumwagen“ vom 11. bis 21. September 1969 auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt am Main vorgestellt werden soll. Nach dem sensationellen Debüt gastiert der C 111 auf zahlreichen weiteren Messen und Ausstellungen: dem Automobil-Salon in Paris, der London Motor Show, dem Turiner Salon, der Jochen Rindt Show in Wien und Essen, dem Automobil-Salon in Brüssel und der Chicago Auto Show. In Genf hat dann im März 1970 die weiterentwickelte Version C 111-II Premiere.
Blankoschecks: Zahlungskräftige Sportwagenfans sind bereit, hohe Summen für einen C 111 zu zahlen. Bereits in London 1969 bietet ein Automobilliebhaber bis zu einer halben Million DM. In den folgenden Monaten treffen sogar Blankoschecks in Stuttgart ein. Doch die Marke betont, dass das Experimentalfahrzeug unverkäuflich ist. Ganz am Anfang seiner Karriere ist der spätere C 111 (den Mercedes-Benz unter der internen Bezeichnung C 101 führt) jedoch für eine ganz andere Zielgruppe bestimmt: Bereits 1963 denkt man über einen Wankelmotor in einem „kleinen, preiswerten Sportwagen“ nach, der unterhalb des „Pagoden“-SL (W 113) platziert werden soll. Ende 1968 wird diese Ausrichtung konkretisiert zum „kleinen sportlichen Fahrzeug“ ohne ausgeprägten Komfort, das sich auch für den Rallyesport eignet und „jüngere Leute“ ansprechen soll.
Digital: Der C 111 weist nicht nur mit seiner Form in die Zukunft. Er ist auch das weltweit erste Automobil, das von Grund auf am Computer konstruiert wird. Die Ingenieure verwenden dazu das Verfahren ESEM (Elastostatik-Element-Methode), eine bei Mercedes-Benz entwickelte Variante der Finite-Elemente-Methode (FEM). Die Digitaltechnik ermöglicht sogar das Berechnen dynamischer Belastungen. Bei Mercedes-Benz geht man davon aus, dass so rund vier Monate Entwicklungszeit eingespart werden. Der hauseigene Dokumentationsfilm „Das Auto, das aus dem Computer kam“ stellt die Innovation vor.
V8 statt Wankel: Im Dezember 1970 wird in einen C 111-II statt des Wankelmotors ein Mercedes-Benz 3,5-Liter-V8-Hubkolbenmotor eingebaut. Ein anderes Einzelstück der unternehmenseigenen Fahrzeugsammlung ist ein C 111-II aus dem Jahr 1975: Seine Bodengruppe besteht aus einem Sandwich aus zwei nur wenige Millimeter dicken, glasfaserverstärkten Kunstharzschalen, die mit einer Polyurethan-Ausschäumung zu einem Kernverbund verschweißt sind.
Butter und Ski: Der C 111-II zeigt gegenüber seinem Vorgänger einige komfortable Details. Dafür setzt sich insbesondere Rudolf Uhlenhaut ein, Leiter der Mercedes-Benz Personenwagen-Entwicklung. Zusätzlich zum regulären Kofferraum werden beispielsweise die Unterbringung eines Gepäckstücks auf dem Heckdeckel mit Spanngurten sowie der Skitransport vorgesehen. Uhlenhaut lässt den C 111-II auch einer praxisnahen „Butterprobe“ unterziehen: Dabei wird während einer sportlichen Fahrt getestet, ob ein Päckchen Butter im Kofferraum – trotz dessen Isolierung gegen die Wärme des Verbrennungsantriebs – schmilzt.
Farbe bekennen: Heute ist der C 111-II wie auch sein Vorgänger im öffentlichen Bewusstsein ganz klar mit dem Orangemetallic-Farbton „Weißherbst“ verbunden. Zunächst werden jedoch Ende der 1960er-Jahre auch eine Lackierung in „Zinnoberrot“ und ein Dekor mit Rallyestreifen angedacht. 1969 erscheint der C 111 zunächst in einem weißen Effektlack und in Leuchtorange. Bis zur Premiere des C 111-II in Genf vor 50 Jahren setzt sich aber die Lackierung „Weißherbst“ als typische Farbe durch.
Rekordwagen: Die Entwicklung des Wankelmotor-Supersportwagens wird nach dem C 111-II und seinem Pendant mit Kunststoff-Bodengruppe bei Mercedes-Benz nicht weiter fortgesetzt. Dennoch strahlt der Stern der Experimentalfahrzeuge weiter hell. Denn auf ihrer Basis entstehen die höchst erfolgreichen Rekordfahrzeuge C 111-II D (1976), C 111-III (1977) und C 111-IV (1979).
FOTOS: MERCEDES-BENZ AG