McLaren F1 Chassisnummer 062: Kalifornisches Einhorn
Es gibt Supersportwagen. Es gibt Hypercars. Und dann gibt es den McLaren F1. Ein Auto, das seit seiner Vorstellung 1992 immer wieder als „letzter echter Supersportler“ bezeichnet wird – nicht aus Nostalgie, sondern weil er Maßstäbe setzte, die bis heute kaum jemand erreicht hat. Der F1 war von Anfang an kompromisslos gedacht: keine elektronischen Fahrhilfen, dafür ein Carbon-Kevlar-Monocoque, zentrale Sitzposition und ein frei atmender V12-Motor von BMW mit 6,1 Litern Hubraum. 627 PS ohne Turbolader, eine Beschleunigung von 0 auf 100 in 3,2 Sekunden und eine Spitze von 391 km/h machten ihn 1998 zum schnellsten Serienauto der Welt mit Saugmotor – ein Rekord, der bis heute Bestand hat.

Chassis 062 – Ein amerikanischer Sonderfall
San Francisco Bay Area, Kalifornien. Dorthin wurde 1997 ein F1 mit der Chassisnummer 062 ausgeliefert. Der Erstbesitzer: Larry Ellison, Gründer von Oracle, Software-Milliardär und Autoliebhaber. Sein Wagen trägt das Kennzeichen „ORACLE8“, ist in Magnesium Silver lackiert und bleibt über ein Jahrzehnt in seinem Besitz. Zwei weitere Besitzer folgen, beide ebenfalls aus der Region, und alle gemeinsam schaffen etwas Einzigartiges: Der Wagen verlässt in fast 30 Jahren niemals Nordkalifornien.
Originalzustand trotz US-Import
Von den nur 106 gebauten McLaren F1 wurden lediglich sieben offiziell über den Importeur Ameritech in die USA gebracht. Die meisten dieser Fahrzeuge mussten für die Zulassung umfangreiche Umbauten über sich ergehen lassen – Stoßstangen, Leuchten, Abgasanlage, Sicherheitsmodifikationen. Nicht so Chassis 062. Laut den bekannten Aufzeichnungen blieb dieses Exemplar völlig original und ist dennoch bis heute in Kalifornien zugelassen. Ein seltenes Privileg in einem Land mit strikten Regularien.
Pflege wie aus dem Lehrbuch
Dass der Wagen bei Auktionen jetzt mit über 23 Millionen Dollar bewertet wird, liegt nicht nur an seiner Geschichte, sondern auch am Zustand. Chassis 062 wurde regelmäßig bei McLaren Special Operations sowie bei McLaren Philadelphia gewartet – einem der wenigen Orte weltweit, an dem F1-Techniker mit Werkszertifizierung arbeiten dürfen. Neue Aluminium-Tanks, überholter Antriebsstrang, ein modernisiertes Klimasystem, frische Reifen und eine makellose Historie gehören zum Gesamtpaket. Alle Originalteile sind vorhanden, inklusive Werkzeugrolle, Service-Laptop und der berühmten McLaren-Koffergarnitur.

Wertentwicklung mit Turbolader – nur ohne Turbo
Als der F1 1992 vorgestellt wurde, kostete er rund eine Million Dollar. Damals eine unvorstellbare Summe für ein Auto. Heute wirkt sie wie ein Einsteigerpreis. Laut Classic Analytics stieg der Wert in den letzten Jahren steil an: 2013 erzielte ein F1 bei Gooding & Co. 8,47 Millionen Dollar, 2015 waren es bei RM Sotheby’s schon 13,75 Millionen, und 2021 fiel der Hammer bei über 20 Millionen. Für Chassis 062 rechnet RM Sotheby’s nun mit über 23 Millionen Dollar – ein möglicher Auktionsrekord für das Modell. Zum Vergleich: Ein Bugatti Chiron verliert in fünf Jahren oft mehr als ein F1 in zehn Jahren gewinnt.
Technik mit ohne Digital
Die Faszination des McLaren F1 liegt nicht nur in den Zahlen, sondern in der Haltung, mit der er gebaut wurde. Gordon Murray wollte keine Assistenzsysteme, keine Automatik, keine Spielerei. Stattdessen bekam der F1 ein manuelles Sechsganggetriebe, einen Motor mit 627 PS bei 7.500 U/min und eine Karosserie, die trotz Dreisitzigkeit kleiner war als ein damaliger Porsche Boxster. Das Gewicht lag unter 1.140 Kilogramm. Im Motorraum reflektieren 16 Gramm Blattgold die Hitze. Luxus trifft Ingenieurskunst, ohne überflüssigen Ballast.
Die Aura des Originals
Bei Supersportwagen dieser Liga sind niedrige Laufleistungen nicht ungewöhnlich. Doch bei Chassis 062 gehen Historie, Authentizität und Zustand eine seltene Symbiose ein. Das Fahrzeug wurde nie umlackiert, nie umgebaut, nie hart rangenommen. Es ist nicht nur ein McLaren F1 – es ist einer der am besten erhaltenen weltweit. Und vielleicht der einzige, der drei Besitzer hatte, aber immer in derselben Region blieb.
Ein technisches Testament
Der McLaren F1 markiert das Ende eines Zeitalters. Vor der Ära der Turbos, Doppelkupplungen und Fahrmodi war er ein Hochamt für Puristen. Kein Auto vereint so viel Formel-1-DNA mit Straßenzulassung. Kein anderes Fahrzeug wurde mit so viel Aufwand um den Fahrer herum gebaut. Und keiner hat über 30 Jahre lang so konsequent an Faszination gewonnen wie dieser.
Fotos: RM Sotheby´s