Lancia Flaminia Loraymo – Das Einzelstück
Für das Councours-Plakat Festival Car 2025 fiel die Wahl auf ein Einzelstück aus dem Jahr 1960: die Lancia Flaminia Loraymo. Entworfen vom Designer Raymond Loewy, gebaut von Rocco Motto, technisch überarbeitet von Enrico Nardi – drei Handschriften, ein Fahrzeug. Wir werfen einen Blick auf eine Designstudie, die zum fahrbaren Einzelstück wurde und deren Namen nur wenigen Oldtimer Enthusiasten vermutlich etwas sagt.

Basis: Lancia Flaminia – technisches Rückgrat der Nachkriegszeit
Das Ausgangsmodell, die Lancia Flaminia, war selbst ein technisches Statement. Ab 1957 als Nachfolger der Aurelia eingeführt, brachte sie alles mit, was Lancia vor dem Fiat-Aufkauf auszeichnete: einen innovativen Fahrwerksbau mit De-Dion-Hinterachse und Einzelradaufhängung vorn, einen seidig laufenden V6-Motor und eine für die damalige Zeit außergewöhnlich hohe Fertigungsqualität. Der V6 war ein Entwurf von Francesco de Virgilio – jenem Ingenieur, der dem V-Motor-Konzept beim Übergang von der Theorie in die Serienfertigung entscheidend zur Seite stand. Mit 2,5 Litern Hubraum und ursprünglich 119 PS gehörte der Motor nicht zu den stärksten seiner Zeit, wohl aber zu den elegantesten Aggregaten – leise, vibrationsarm, drehfreudig. Für die Loraymo wurde es durch Nardi modifiziert: verbesserte Ansaugung, höherer Wirkungsgrad, etwa 150 PS. Kein Renntriebwerk, aber ausreichend Kraft für ein leichtes Coupé mit klarer Aufgabenstellung.

Fotos: Lancia
Most Advanced Yet Acceptable
Entworfen wurde sie 1960 vom französisch-amerikanischen Designer Raymond Loewy, einem der prägendsten Industriedesigner des 20. Jahrhunderts. Raymond Loewy stand für das Prinzip „Most Advanced Yet Acceptable“ – eine Gestaltungsphilosophie, die das Neue als Fortschreibung des Bekannten denkt. Die Coca-Cola-Flasche, das Lucky-Strike-Design, die Greyhound-Busse und selbst das NASA-Logo gehen auf sein Konto.
Doch im Gegensatz zu Zigarettenschachteln, Lokomotiven und Logos war die Loraymo kein Auftragsprojekt. Loewy ließ sie für sich selbst entwerfen. Die Karosserie, ausgeführt von Rocco Motto in Turin, folgt keinem vorgegebenen Schema. Sie ist flach, klar, funktional – mit sorgfältig definierten Übergängen, sparsamen Details und ohne überflüssiges Volumen.

Fotos: Lancia
Aerodynamisches Denken in Aluminium gefasst
Die Karosserie integriert zahlreiche Details, die auf Loewys Interesse an Aerodynamik verweisen – viele davon ungewöhnlich, manche ihrer Zeit weit voraus. Der spitz zulaufende Frontbereich wird von einem großflächigen Lufteinlass geprägt, eingefasst von einem massiven Chromrahmen, der zugleich als Stoßfänger dient. Die beiden Nebelscheinwerfer sind über aerodynamische Finnen vom Hauptkörper abgesetzt und tief unter den Frontscheinwerfern in die Kotflügel eingebettet, deren untere Kanten offen ausgeführt sind – zur gezielten Belüftung der Bremsen.
Am Heck verläuft ein kleiner Spoiler oberhalb der Rückscheibe, die selbst weit über das Kofferraumvolumen hinausragt. Der Kofferraum ist nur aus dem Innenraum zugänglich – eine gestalterische Entscheidung, die den geschlossenen Charakter der Karosserie betont. Radkappen und Rückleuchten sind vollständig flächenbündig integriert, während lediglich die beiden Auspuffendrohre und ein schlanker Stoßfänger die Linienführung unterbrechen.
Werkstatt und Idee
Die Karosserie fertigte Rocco Motto, ein wenig bekannter, aber hochangesehener Karosseriespezialist aus Turin, der zuvor schon für Cisitalia und Ferrari gearbeitet hatte. Motto verstand sich auf Leichtbau und Maßarbeit – zwei Tugenden, die bei der Loraymo besonders sichtbar wurden. Hier wurde die Karosserie der Loraymo in Handarbeit mit dem Ziel aufgebaut, ein fahrbereites, langstreckentaugliches, belastbares Auto anzufertigen, statt eines Showcars, das nur auf Messen herumsteht.
Rückblick aus der Gegenwart
Die Loraymo ist kein Museumsstück, sondern ein dokumentierter Eingriff in die Serienlogik. Sie entstand außerhalb industrieller Abläufe – mit handverlesenen Partnern, fahrbereiter Technik und einem Designanspruch, der keinem Markt gehorchte. Die Struktur ihrer Entstehung ist ebenso klar wie ungewöhnlich: ein Designer, ein Karosseriebauer, ein Tuner. Kein Lastenheft, kein Vertriebsteam, keine Marktanalyse.
Bei ihrer Präsentation auf dem Pariser Autosalon 1960 rief sie gemischte Reaktionen hervor. Vor allem die Frontgestaltung stieß auf breite Ablehnung, was einer Weiterentwicklung im Weg stand. Für Loewy war das kein Rückschlag, sondern Bestätigung seines eigenen Anspruchs. Er nutzte das Einzelstück über Jahre hinweg als Alltagsfahrzeug, bevor er es veräußerte.
Nach Jahren der Stilllegung – der originale Motor war zwischenzeitlich verloren gegangen – kehrte das Fahrzeug in den 1970er-Jahren nach Italien zurück. Lancia restaurierte es sorgfältig und stattete es mit einem passenden Antrieb aus. Heute ist die Loraymo Teil des Werksmuseums der Fiat-Gruppe in Turin. Sie wird europaweit bei Ausstellungen und Concours d’Elegance gezeigt.