Das bekannteste Nutzfahrzeug der Welt:
Produktion des Bulli startete vor 75 Jahren
Es ist 1950 – Europa erfindet sich soeben neu und mit ihm die ein Jahr zuvor gegründete Bundesrepublik Deutschland. Bing Crosby aus den USA ist der musikalische Superstar dieser Zeit,Elvis Presley noch ein Teenager und Paul McCartney ein Schuljunge.In Wolfsburg produziert Volkswagen nun im fünften Jahr einen kleinen Wagen, der gerade weltweit groß rauskommt: den Käfer alias Typ 1. In dieser Zeit, am 8. März, startet Volkswagen die Serienproduktion einer zweiten Baureihe: des Transporters. Intern nennen sie ihn einfach Typ 2. Noch ist er ein unbeschriebenes Blatt in der Geschichte des Automobils. Doch eines, das mit Spannung erwartet wird. Denn besonders die Unternehmenin der BRD – dem jungen Wirtschaftswunderland – brauchen dringend einen günstigen Transporter. Und so wird die erste Generation – kurz T1 genannt – sofort zum Bestseller.
Ikone der Freiheit: Was vor 75 Jahren niemand ahnt, ist die Tatsache, dass der kleine Transporter zum größten Nutzfahrzeugerfolg aller Zeiten aufsteigen wird. Mehr noch: Er wird zur Ikone der automobilen Freiheit. Vor allem das Woodstock-Foto (1969) mit dem Pärchen auf dem Dach des „Light Bus“ brennt sich in das kollektive Gedächtnis der Menschheit ein. Kreiert und bemalt wurde dieser T1 vom Künstler Dr. Bob Hieronimus, der dem VW Bus bis heute verbunden ist und 2023 eine moderne Interpretation mit dem „Love the Earth Buzz“ geschaffen hat.
Doch zurück in die Vergangenheit: Einige Jahre nach Woodstock wird der legendäre Motorjournalist Clauspeter Becker in der Zeitschrift „auto motor und sport“ schreiben: „… Diese Mischung wird seither weltweit kopiert, und der VW Bus kann mithin von sich behaupten, einer neuen Fahrzeuggattung vorausgegangen zu sein.“ Der VW Bus, der im deutschsprachigen Raum gefühlt schon immer Bulli genannt wurde, gilt bis heute als das Original.
Retrospektive: Die Legende besagt, dass die Idee für einen VW Transporter im April 1947 entstanden sei, als der niederländische Geschäftsmann Ben Pon bei einem Besuch in Wolfsburg eine Zeichnung eines leichten Nutzfahrzeugs anfertigte. Ben Pon war bei Volkswagen ein Mann der ersten Stunde. Bereits in der Vorkriegszeit hatte er sich beim Volkswagenwerk um einen Importeursvertrag für die Niederlande bemüht, woraus kriegsbedingt nichts wurde.
Im August 1947 wurde dieses Vorhaben aber Realität: „Pon´s Automobielhandel“ in Amersfoort war nun der erste offizielle VW-Importeur. Während eines Rundgangs durch das damals noch unter britischer Kontrolle stehende Volkswagenwerk fielen ihm die sogenannten „Plattenwagen“ auf, die Teile und Werkzeuge zwischen den Montagestationen hin und her transportierten. Diese Plattenwagen waren eine VW-interne Eigenentwicklung; sie wurden von Hand gefertigt und basierten auf einem verkürzten Käfer-Chassis. Der Fahrersitz befand sich auf dem hinteren Fahrzeugteil, davor eine Plattform für die zu transportierende Fracht.
Ben Pon erkannte das Potential der Idee: Ganz Europa befand sich im Wiederaufbau und es gab einen großen Bedarf an robusten Transportfahrzeugen. Den von hinten gesteuerten Plattenwagen in Serie zu produzieren, kam aus zulassungstechnischen Gründen allerdings nicht in Frage. Als Pon später mit der Unternehmensführung redete, dem britischen Senior Resident Officer Major Ivan Hirst und Colonel Charles Radclyffe, regte er eine neue Entwicklung an. Die tatsächliche Bedeutung der vermeintlich in diesem zeitlichen Umfeld entstandenen Zeichnung von Ben Pon ist heute jedoch nicht eindeutig zu klären.
Der Ur-Transporter nimmt Gestalt an: Im November 1948, über ein Jahr nach dem Werksbesuch von Ben Pon – zu diesem Zeitpunkt war bereits Heinrich Nordhoff Generaldirektor des Volkswagenwerks – sendete die Technische Abteilung eine Mitteilung an die Personalabteilung, in der gebeten wurde, mehr Mitarbeiter für die Entwicklung eines neuen Fahrzeugs zu beauftragen: den intern zunächst Typ 29 genannten Transporter.
Nur wenige Tage später erhielt Nordhoff die ersten Pläne und Zeichnungen von Wolfsburger Ingenieuren. Alfred Haesner, Leiter der Technischen Abteilung, zeigte Nordhoff zwei von seinem Team vorbereitete Konstruktionsvorschläge. Beide Varianten waren sich sehr ähnlich und unterschieden sich nur im vorderen Bereich und in der Dachform. Es scheint sehr wahrscheinlich, dass sich die Volkswagen Techniker bei ihrer Arbeit Ideen bedienten, die bereits vor fast einem Jahrzehnt im Stuttgarter Konstruktionsbüro Porsche entstanden waren. Die 1931 gegründete Porsche GmbH war in der Vorkriegszeit die Denkfabrik des Volkswagenwerks.
Neben der Entwicklung des Volkswagens führten die Porsche-Ingenieure unzählige Auftragsentwicklungen für die Volkswagenwerk GmbH durch, von denen jedoch nur sehr wenige, als kriegswichtig eingestufte Projekte realisiert wurden. Unter den nicht umgesetzten Projekten befand sich auch ein Vorschlag für ein Transportfahrzeug, das auf der Basis eines Volkswagen-Chassis mit Heckmotor entstehen sollte. Diese Idee wurde bereits im April 1939 in Deutschland patentiert. In Konzeption und Abmessung nimmt dieses Patent zahlreiche Konstruktionsmerkmale des späteren Volkswagen Typ 2 vorweg.
Ben Pon anhand seiner groben Skizze das geistige Eigentum an der Idee des VW Bullis zuzusprechen, erscheint somit etwas übertrieben. Richtig ist jedoch, dass er in Wolfsburg ein Bewusstsein weckte, dass man mit einem Transportfahrzeug auf dem Automobilmarkt erfolgreich sein könnte. Fakt ist, dass der neue Transporter nach einer schwindelerregend kurzen Entwicklungszeit am 12. November 1949 seine Weltpremiere feierte. Wie skizziert, beginnt nur weitere 16 Wochen und vier Tage später die Serienproduktion: Es ist Mittwoch, der 8. März 1950 – die Geburtsstunde einer Legende.
Start mit 18 kW (25 PS): Zunächst fährt der T1 als Kastenwagen vom Band, 4,10 Meter lang, 1,66 Meter breit und 1,90 Meter hoch, sowie mit einem Laderaum, der mehr als 4,5 Kubikmeter fasst. Die zweigeteilte „Split Window“-Frontscheibe bringt dem Transporter im englischsprachigen Ländern den Spitznamen „Splittie“ ein.
Das Lenkrad steht vergleichsweise flach, das aus Stahlblech gefertigte Instrumententräger wird unter der Frontscheibe angeschraubt. Die leicht rundliche Bugpartie mit der V-förmigen Sicke und dem großen VW-Logo senkt den Luftwiderstandsbeiwert auf cw 0,45 – damit ist der T1 windschnittiger als der Käfer (0,48). Um das von Nordhoff geforderte Leergewicht von 850 Kilogramm einzuhalten, entfallen zu Beginn auch Stoßfänger und die Heckscheibe. Mit dem 18 kW (25 PS) starken und 1,1 Liter großen Vierzylinder-Boxer aus dem Käfer erreicht der kurz übersetzte T1 gut 80 km/h. Bis 1967 steigt der Hubraum auf 1,5 Liter, die Leistung auf 32 KW (44 PS) und die Höchstgeschwindigkeit auf 105 km/h.

Zügig folgen weitere Karosserievarianten: Ein Kombi (verglaster Fond) steht schon im April 1950 bereit, danach ein Kleinbus und ein Pritschenwagen. Jenes Sondermodell, das heute als legendärster aller Bulli-Oldtimer gilt, debütiert im Juni 1951: der „Kleinbus Sonderausführung“ – von den Fans „Samba-Bus“ getauft.
Er bietet Platz für neun Personen und zeichnet sich durch bis zu 23 Fenster, eine Zweifarblackierung und eine luxuriöse Ausstattung inklusive Panorama-Faltdach aus. 1956 verlegt Volkswagen die Fertigung in das neue Werk Hannover. Am 2. Oktober 1962 verlässt bereits der einmillionste T1 die Montagehallen. Im Juli 1967 wird der T1 nach mehr als 1,8 Millionen Exemplaren durch den T2 abgelöst. In Brasilien bauen sie den T1 jedoch noch bis 1975. Gerade die erste Generation steht bei Sammlern hoch im Kurs; je nach Variante werden bis zu sechsstellige Euro-Beträge bezahlt.
Fotos: VWN