Kokain, Kurven und Kartelle: Pablo Escobar – der Rennfahrer
Pablo Escobar, dessen Name untrennbar mit Gewalt, Drogen und politischem Chaos verbunden ist, hatte eine Facette, die kaum jemand auf dem Schirm hat, der nicht die Serie „Narcos“ gesehen hat: den Traum, ein erfolgreicher Rennfahrer zu sein. Bevor er zum gefürchtetsten Drogenboss der Welt aufstieg, war der junge Drogenkurier Escobar ein Autofanatiker, der seine frühe Karriere in Kolumbiens populärster Einheitsserie begann.
Die Geschichte beginnt in den späten Siebzigerjahren, als der Renault 4 – der knuffige viertürige Kasten mit luftgekühltem Vierzylinder und 845 Kubikzentimetern Hubraum – in Kolumbien zur Rallye-Ikone wurde. Bei der heimischen Copa Renault trafen sich Tuner, Amateure und aufstrebende Talente und fuhren auf robusten Chassis mit modifizierten Achsen, verstärkten Querlenkern und aufgebohrten Motoren um die Wette.

Pablo, damals als Immobilienunternehmer getarnt, stieg 1979 in diese Serie ein, flankiert von Cousins und Freunden, die dafür sorgten, dass die staatlichen Rennkommissare ein Auge zudrückten, wenn die Konkurrenz einmal zu laut protestierte. Überraschend landete er nach nur sechs Rennen auf Rang zwei der Gesamtwertung – ein Resultat, das man wahlweise als fahrerisches Talent deuten oder als Triumph krimineller Energie werten konnte.
Erwähnenswert ist auch, dass nicht nur Escobar, sondern zeitgleich seine Mit-Cartel-Partner Fabio und Jorge Luis Ochoa am Start waren und das Medellín-Kartell so die gesamte Rennszene dominierte. Das organisierte Verbrechen setzte dabei auf „speziell präparierte“ R4, deren Fahrwerksteile aus leichterem Aluminium bestanden und deren Getriebe meist eine zusätzliche Übersetzung parat hatte.

Renault 4 Foto: Renault
Doch der Renault 4 war ziemlich schnell passé. Pablo sehnte sich nach mehr Hubraum und Turboladern. Es dauerte nicht lange, bis er an lokalen Bergrennen mit einem 1974er Porsche 911 Carrera 3.0 RSR, den er äußerlich wie einen 935 Ausführung mit Slant-Nose umbauen ließ, teilnahm. Dessen luftgekühlter Sechszylinder-Boxer mobilisierte dank Turbolader mühelos rund 600 PS. Sein Sponsorentrikot zierte das berüchtigte Logo des Medellín-Kartells, das mehr Angst einflößte als so mancher Ferrari im Feld.
Escobar soll Profifahrer Ricardo Londoño herausgefordert haben. Londoño nahm an und verlor offiziell mit nur zwölf Sekunden Rückstand – nicht zuletzt, weil Escobar in der Kurvenkombination drei Polizeieskorten hinter sich hatte, die mögliche „unerlaubte“ Manöver vereiteln sollten.

Renault 4, Copa Renault/ Foto: BigMagTV
Mit dem gewachsenen Vermögen verlagerte Escobar sein Engagement bald auf internationales Terrain. Er unterstützte Londoño nicht nur mit Spesen für die Reise nach Silverstone, sondern finanzierte dessen Einstieg in die British Formula One Championship beim finanziell angeschlagenen Team Ensign Racing.
Dort pilotierte Londoño einen Lotus 78 mit Cosworth-DFV-Achtzylinder, 3,0 Liter Hubraum, etwa 500 PS und Fahrwerk mit Pull-Rod-Aufhängung. Escobars Engagement war so ernsthaft, dass er laut Zeitzeugen erwog, langfristig als Hauptsponsor in die Formel 1 einzusteigen, um Kolumbien ins Paddock zu bringen. Im Training kollidierte Londoño jedoch mit Keke Rosberg, was ihm offiziell die Superlizenz kostete – inoffiziell wurde dies auf die Herkunft seiner Finanzierung zurückgeführt. So blieb der Sprung in die Königsklasse aus, obwohl Londoño in Testfahrten durchaus beachtliche Zeiten gefahren war.

Porsche 935 Foto: Porsche
Parallel dazu baute Escobar auf seiner Hacienda Nápoles, einem 20 Quadratkilometer großen Anwesen östlich von Medellín, eine motorisierte Spielwiese. Dort entstand eine private Rennstrecke, der Gerüchten zufolge eine Formel-1-Strecke als Vorbild diente: schnelle Kurvenpassagen, eine lange Geradenbeschleunigung und ein Boxengebäude.
In den Hangars standen Porsche 911 Carrera 3.0 RSR aus den frühen Siebzigern, Lamborghini Miura, Ferrari 365 GTB/4 Daytona und unzählige amerikanische Muscle Cars, liebevoll restauriert und mit maßgeschneiderten Renninterieurs versehen. Escobar bestand darauf, dass jedes Fahrzeug Rennschlupfregelung, Handbremsen für Drifts und zusätzliche Kühlleitungen aus dem Motorsport besaß. Ingenieur Luis Harvey, zuvor im Rallyesport tätig, justierte die Fahrzeuge für echte Rennbedingungen.
Direkt nach jedem Rennen inszenierte Escobar standesgemäße Feiern. Französischer Champagner, exotische Meeresfrüchte, opulente Menüs. Live-Bands und regionale Tänzerinnen sorgten für Unterhaltung, und gelegentlich wurden bekannte Musiker oder Fernsehpersönlichkeiten als Überraschungsgäste eingeflogen. Gleichzeitig sammelte seine Privatarmee Kameras ein und hielt unliebsame Journalisten auf Abstand, um Neugierige fernzuhalten.
Internationale Gäste – darunter ehemalige NASCAR-Fahrer und Chaparral-Ingenieure – sollen zu Besuch gewesen sein, um über gemeinsame Projekte zu sprechen. Escobar träumte offenbar von einer lateinamerikanischen Rennserie, bei der Fahrer in Farben wie Tifosi-Rot oder British Racing Green um Punkte fuhren. Die Finanzierung hätte er gehabt; seine Einkünfte lagen Schätzungen zufolge im zweistelligen Milliardenbereich.
Die Rennkarriere war vorbei, als die Behörden ihre Untersuchungen ausweiteten und er sich vollständig auf seine Verteidigung konzentrieren musste. Nach seiner Ermordung 1993 zerstreute sich sein Fuhrpark: Einige Autos wurden bei Razzien gefunden, andere in Medellíns Unterwelt als Zahlung weitergereicht, der Rest blieb verschollen oder verfiel auf Mónaco-Parkplätzen. Die private Rennstrecke auf der Hacienda verfiel, bis sie schließlich Teil eines Freizeitparks wurde.