Gordon Murrays S1 LM: Das 20,6 Millionen Dollar Phänomen
Las Vegas ist nicht der Ort, an dem man leise bleibt. Genau die richtige Umgebung für ein Auto, das von Beginn an nicht dafür gedacht war, sich hinter irgendetwas zu verstecken. Im November wurde im Wynn, eingerahmt von der amfAR-Gala und der Kulisse des Formel-1-Grand-Prix, der erste Gordon Murray S1 LM versteigert. Ein Einzelstück, das auf Anhieb mehr Aufmerksamkeit erzeugte als die gesamte Szenerie, die es umgab. RM Sotheby’s inszenierte die Auktion als Ereignis, das sich nicht in klassische Kategorien einordnen ließ, sogar Gordon Murray war persönlich anwesend.
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Der Wagen, der im Saal stand, war allerdings nicht das fertige Kundenexemplar, sondern ein Showcar, das ausschließlich dafür gebaut wurde, die endgültige Form zu zeigen. Die Premiere wurde damit zu einem Moment, der Vergangenheit, Gegenwart und eine mögliche Zukunft des automobilen Leichtbaus miteinander verband. Der Wagen stand im Licht wie ein Artefakt aus einer anderen Zeit, obwohl er technisch und inhaltlich in der Gegenwart verankert ist. Das Ergebnis war ein Zuschlag über 20.630.000 US-Dollar, bzw. 19 Mio Euro (Keine Wohltätigkeitsgala) der mehr über den Stellenwert dieses Projekts aussagt als jede Beschreibung.

Gordon Murray Special Vehicles S1 LM/Fotos: RM Sotheby´s
Der Käufer erwirbt nicht einfach ein Auto. Er erhält Zugang zu einer Entwicklungsumgebung, die so eng strukturiert ist, dass sie nur wenige Menschen jemals erleben werden. Dario Franchitti, dreifacher Sieger der Indianapolis 500 und entscheidender Kopf in der Produktstrategie von Gordon Murray Automotive, begleitet den neuen Besitzer während der gesamten Entstehung. Der Zugang reicht bis zu persönlichen Gesprächen mit Gordon Murray selbst. Der Käufer wird damit zu einem aktiven Teilnehmer am Entwurfs- und Abstimmungsprozess, der keineswegs als Formalität verstanden wird, sondern als Bestandteil der Philosophie, die Murray seit Jahrzehnten verfolgt: ein Fahrzeug entsteht erst dann vollständig, wenn der Mensch, der später darin sitzt, seine Spuren im Projekt hinterlässt.

Gordon Murray Special Vehicles S1 LM/Fotos: RM Sotheby´s
Um zu begreifen, warum der S1 LM diese Rolle einnimmt, muss man die Entwicklungslinie zurückverfolgen. Anfang der neunziger Jahre stand Gordon Murray am Ende einer Phase, die in der Formel 1 es so nur einmal gab. Gemeinsam mit Ron Dennis, Alain Prost und Ayrton Senna prägte er die Jahre 1988 bis 1990. Die Konstrukteurs- und Fahrertitel dieser Zeit gehen wesentlich auf seine Arbeit zurück. Inmitten dieses Erfolgs bat McLaren ihn, ein straßenzugelassenes Automobil zu entwerfen. Kein Renngerät, kein technisches Experiment, sondern ein Fahrzeug, das wie ein destilliertes Resultat seiner Ideen funktionieren sollte.

1997 McLaren F1/Foto: RM Sotheby´s
Murray verließ daraufhin das Rennteam und wechselte 1991 zu McLaren Cars. Das Ergebnis dieses Wechsels wurde der McLaren F1, ein Auto, das drei Jahrzehnte später immer noch als Wendepunkt der modernen Hochleistungsautomobile gilt. Das Carbon-Monocoque, die mittige Fahrerposition, die Dreisitz-Architektur, der BMW-V12 und die radikale Reduktion auf Masse, Funktion und direkte Rückmeldung machten den Wagen zu einem Objekt, das fast unbeabsichtigt Rekorde brach.

1997 McLaren F1/Foto: RM Sotheby´s
Murray hatte nie geplant, ein Rekordfahrzeug zu schaffen. Sein Ansatz war ein reines Straßenauto, das einer internen Logik folgte, die später in sieben Prinzipien formuliert wurde. Die Fokussierung auf Gewichtsminimierung, der Verzicht auf unnötige Komplexität, präzise Technik, harmonische Formensprache und die Einbindung des Kunden in den Entwicklungsprozess gehören dazu. Trotzdem stand er unter dem Druck der Teams, die das Potenzial des F1 als Rennwagen erkannten. Er gab nach und entwickelte den F1 GTR. 1995 gewann dieser Wagen als straßenzugelassener GT das 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Es war der letzte Wagen dieser Art, der den Gesamtsieg erreichte. Dazu kamen die Plätze drei, vier, fünf und dreizehn. Der Sieg fiel auf Murrays 47. Geburtstag. Diese Zahl hatte für ihn eine persönliche Bedeutung, da er sie früher für seinen ersten Eigenbau verwendet hatte. Als Reaktion auf diesen Erfolg entstanden fünf McLaren F1 LM, die heute als die begehrtesten Varianten des Modells gelten.

Gordon Murray Special Vehicles S1 LM/Fotos: RM Sotheby´s
2007 gründete Murray sein eigenes Designstudio, das sich bis 2017 zu einem eigenständigen Hersteller entwickelte: Gordon Murray Automotive. Die Modelle T.50 und T.33 zeigten eine Umsetzung seiner Prinzipien im Straßenverkehr. 2024 folgte der nächste Schritt. Gordon Murray Special Vehicles wurde gegründet, um Einzelstücke und Kleinstserien zu entwickeln, die den Fokus noch stärker auf handwerkliche Präzision, extreme Exklusivität und eine direkte Verbindung zwischen Konstrukteur und Besitzer legen. The Quail 2025 war die erste Bühne, auf der der S1 LM gezeigt wurde, wenn auch in begrenztem Rahmen. Er wurde von einem Sammler in Auftrag gegeben, der ein Sondermodell wollte, das den Ursprung des F1 LM aufnimmt, ohne ihn zu imitieren.

Gordon Murray Special Vehicles S1 LM/Fotos: RM Sotheby´s
Der S1 LM entstand als Würdigung für den dreißigsten Jahrestag des Le-Mans-Sieges des F1 GTR und der Entstehung des F1 LM. Gleichzeitig sollte er ein anderes Fahrerlebnis ermöglichen als der T.50. Die Karosserie ist aus Kohlefaser gefertigt und gestalten sich fließender und gespannter als das historische Vorbild. Die Mittelsektion verjüngt sich stärker, wodurch die Silhouette leichter wirkt. Die Kotflügel sind breiter, um größere Räder aufzunehmen und dem Wagen mehr Präsenz zu geben. Die Bezeichnung folgt der historischen Linie. Das S identifiziert die Special-Vehicles-Division, die Zahl 1 benennt das erste Modell dieser Reihe. Wie der F1 LM wird auch der S1 LM nur fünfmal gebaut.

Gordon Murray Special Vehicles S1 LM/Fotos: RM Sotheby´s
Technisch unterscheidet er sich stark vom T.50. Die zentrale Rahmenstruktur entfällt, wodurch die Dachlinie flacher ausgebildet werden konnte. Das Monocoque wurde abgesenkt, lokal verstärkt und an Gewicht reduziert. Der Motor bildet ein zentrales Element. Cosworth entwickelte dafür einen 4,3-Liter-V12 mit über 700 PS, der über 12.100 Umdrehungen erreicht und 501 Newtonmeter Drehmoment erzeugt. Ein Großteil davon steht schon bei niedrigen Drehzahlen bereit. Leichtbaukolben, Titanventile, Titanpleuel und ein Trockensumpfsystem bilden die Basis für ein Aggregat, das zu den reaktionsfreudigsten Saugmotoren in einem Straßenfahrzeug zählt.

Gordon Murray Special Vehicles S1 LM/Fotos: RM Sotheby´s
Die Abgasanlage besteht aus Inconel und ist vierflutig ausgeführt. Die Goldbeschichtung in der Isolierung reduziert die Temperatur und sorgt für einen klaren strukturellen Aufbau im Motorraum. Das überarbeitete Ansaugsystem legt die gefrästen Nockenwellenabdeckungen frei, die unter einer Polycarbonatabdeckung sichtbar bleiben. Die gesamte Motorhaube bildet ein einziges Element, das sich nach oben öffnet und die Goldschicht sowie die mechanischen Komponenten freilegt.

Gordon Murray Special Vehicles S1 LM/Fotos: RM Sotheby´s
Der S1 LM wird ausschließlich mit einem handgeschalteten Sechsganggetriebe ausgestattet. Das Gehäuse stammt aus dem T.50s Niki Lauda, die inneren Komponenten aus dem T.50. Karosserie und Kraftstofftank wurden so angepasst, dass die Schaltseile direkter geführt werden können. Die Gewichtsminimierung zeigt sich in allen Bereichen. Die Kohlefaserlagen sind extrem dünn und größtenteils unlackiert. Die Felgen bestehen aus geschmiedetem Aluminium. Der Innenraum enthält eine leichte Mittelkonsole, überarbeitete Pedale, ein abnehmbares Motorsportlenkrad und eine Instrumenteinheit, die auf eine gedruckte Metallstruktur montiert ist.

Gordon Murray Special Vehicles S1 LM/Fotos: RM Sotheby´s
Das Design wurde vollständig im Tonmodellverfahren entwickelt. Die Aerodynamik entstand parallel dazu und wurde per CFD simuliert. Der Wagen wird im Windkanal validiert, und der Käufer darf bei diesem Test anwesend sein. Die Fahrwerksgeometrie wurde überarbeitet, der Motor ist fest im Monocoque verankert, wodurch die Rückmeldung verstärkt wird. Der Fahrer kann Parameter wie Sturz oder Flügelstellung individuell anpassen. Eine GPS-gestützte Analyse unterstützt die Rundenzeitauswertung. Ein Detail bildet der Schaltknauf, in dem ein Quarzkristall eingefasst ist, dessen Öleinschlüsse Millionen Jahre alt sind.

Gordon Murray Special Vehicles S1 LM/Fotos: RM Sotheby´s
Für Murray hat der S1 LM eine persönliche Bedeutung. Während seiner Krebsbehandlung arbeitete er an diesem Fahrzeug und erklärte später, dass das Projekt ihm geholfen habe, die schwierige Phase zu bewältigen. Heute sieht er den Wagen als Ausdruck seiner eigenen Widerstandskraft. Dieser Hintergrund verleiht dem Auto eine menschliche Ebene, die über die technische Konstruktion hinausgeht.

Gordon Murray Special Vehicles S1 LM/Fotos: RM Sotheby´s
Der erste S1 LM, der in Las Vegas versteigert wurde, bildet den Auftakt der Serie. Der Käufer schließt einen direkten Vertrag mit Gordon Murray Special Vehicles ab und wird in alle Entwicklungsphasen einbezogen. Dazu gehören Abstimmungsfahrten, Gespräche mit Dario Franchitti und Gordon Murray und die Möglichkeit, eigene Prioritäten in die Auslegung einzubringen. Zusätzlich erhält der Besitzer eine umfangreiche Monografie mit Fotografien, technischen Daten, Skizzen und Notizen aus Murrays persönlichem Arbeitsbuch.
Der Kauf eines S1 LM markiert den Beginn einer besonderen Form von Besitz. Für Menschen, die einst davon träumten, an der Entwicklung eines McLaren-F1-Modells beteiligt zu sein, ist dies heute die einzige Möglichkeit, ein vergleichbares Erlebnis real zu erfahren. Der S1 LM verbindet technische Reinheit, radikale Gewichtsoptimierung und gestalterische Klarheit mit einem Entwicklungsprozess, der auf direkter menschlicher Interaktion beruht. Er bleibt ein Projekt von Gordon Murray Special Vehicles und steht in keiner Verbindung zur McLaren Group oder McLaren Automotive.
Fotos: RM Sotheby´s






























