Vanquish Volante – V12, Stoffdach, keine Ausreden
Fast alle Hersteller haben sich vom V12 verabschiedet. BMW ist raus, Audi sowieso. Mercedes-AMG hat den V12 zur S-Klasse-Grenzerfahrung erklärt, Ferrari hält daran fest – aber nur in wenigen Modellen. Aston Martin gehört somit zu den letzten, die das Aggregat nicht als Show, sondern als Herzstück begreifen und unter die Haube schrauben. Im Vergleich dazu wirkt ein Bentley GTC beinahe höflich und ein Ferrari Roma Spider wie ein Designspielplatz. Der Vanquish ist der Letzte seiner Art: britisch, brutal, wunderschön
Aston Martin nennt ihn den schnellsten und stärksten offenen Frontmotorwagen der Welt. Und das ist keine Werbesprech, sondern ein technisches Statement: 5,2 Liter Hubraum, zwölf Zylinder, 835 PS, 1000 Newtonmeter Drehmoment. Top-Speed? 345 km/h. Wer so ein Auto baut, hat mit Sicherheit nicht auf CO₂-Ziele, Effizienzkurven oder die Stimmung auf LinkedIn geachtet. Der Vanquish Volante ist kein technisches Feigenblatt, sondern ein offenes Bekenntnis zur Lust am Fahren.
Der Vanquish Volante ist die offene Version des Vanquish Coupé. Und bei Cabrios ist das normalerweise der Moment, in dem es technisch knifflig wird. Weniger Steifigkeit, mehr Gewicht, schlechtere Aerodynamik – und am Ende kommt ein Auto dabei raus, das zwar gut aussieht, aber sich nicht fahren lässt, wie die Variante mit dem Dach.
Nicht so hier. Aston Martin hat Coupé und Volante parallel entwickelt. Das Ergebnis: ein Roadster, der keine Kompromisse kennt. Die Karosserie ist 75 Prozent verwindungssteifer als beim Vorgänger, der Schwerpunkt bleibt tief, die Gewichtsverteilung liegt bei fast perfekten 49:51.
Der Preis für diese Konsequenz: 95 Kilo mehr Gewicht. Das klingt nach viel, relativiert sich aber bei einem Leergewicht von knapp 1,9 Tonnen und einer Leistungsausbeute von 416 PS pro Tonne. Anders gesagt: Das Ding schiebt vermutlich wie eine Dampframme und bleibt dabei überraschend leichtfüßig in der Bewegung.
Das Herzstück ist ein neuer V12, der bei 2500 Touren schon das volle Drehmoment liefert – und das bis 5000 Touren hält. Früher musste man für solche Werte Kompressor-Kits aus dubiosen Internetforen bestellen. Heute reicht ein Blick in die Aston-Broschüre.
Geschaltet wird über eine Achtgang-Automatik von ZF, die im Heck sitzt – optimal für die Balance. Gesteuert wird das Ganze über ein E-Differenzial, das in 135 Millisekunden von offen auf voll gesperrt geht – also schneller als die meisten Leute überhaupt „Vanquish Volante“ aussprechen können.
Adaptive Dämpfer von Bilstein sorgen je nach Fahrmodus für alles von butterweichem Gleiten bis zur brettharten Präzision. Im GT-Modus soll der Volante über die Straße gleiten, Sport und Sport Plus hingegen versprechen Fahrdynamik auf Supersportwagen-Niveau.
Das elektrisch öffnende Stoffdach hört auf den Namen „K-Fold“, öffnet sich in 14 Sekunden und schließt in 16 – bis Tempo 50. Clever: Im geöffneten Zustand verschwindet es extrem platzsparend unter einer Abdeckung, ohne das schöne Heck zu ruinieren. Dazu gibt’s fast Coupe-ähnliche Dämmung.
Was der neue V12 klanglich verspricht, lässt darauf schließen, dass Ohrstöpsel künftig zur Ausstattung gehören sollten. Serienmäßig gibt’s Edelstahl, für den Akustik-Gourmet bietet Aston Martin optional Titan an – mit weniger Gewicht, mehr Krawall und feinerem Timbre.
Optisch ist der Vanquish Volante ein klassischer Aston: langer Vorbau, muskulöses Heck, knackiger Heckabschluss Und trotz Stoffdach kein Designbruch. Große Lufteinlässe vorn, markante Matrix-LEDs, versenkbare Türgriffe und ein fast schwebender Diffusor – hier stimmt die Inszenierung. Die V12-Plakette in den Scheinwerfern ist ein charmantes Detail für Kenner.
Der Innenraum ist ein Mix aus Alcantara, Leder und Aluminium. Die Sitze – serienmäßig Sports Plus, optional in Carbon – bieten ein sportliches, aber luxuriöses Ambiente. Die Ergonomie? Klassisch britisch: ein Mix aus Drehregler, Tasten und Touchscreen. Yay, endlich mal ein Infotainment, das nicht überfordert.
Wer Musik mag, bekommt serienmäßig ein 15-Lautsprecher-System von Bowers & Wilkins. Wer lieber dem Motor zuhört, kann den Klangcharakter per Taste nachschärfen.
Noch ein Wort zur Historie: „Volante“ ist Aston-Martins Bezeichnung für seine offenen Modelle. Die Geschichte der Volante-Modelle reicht 60 Jahre zurück. 1965 rollte der erste Short Chassis Volante (eine Mischung aus DB5-Heck und DB6-Front) vom Band – streng limitiert, bildschön, und heute so selten wie ein ehrlicher Politiker. Gerade mal 37 Stück wurde gebaut.
Auch König Charles III. fuhr Volante – seinen DB6 MkII Vantage ließ er sogar auf Bioethanol umrüsten. Und wer sich an die Hochzeit von William und Kate erinnert: Der junge Royal kutschierte seine frisch Angetraute im königsblauen Volante-Cabrio vom Palast zum Empfang. James Bond? Der hatte seinen ersten Volante-Auftritt übrigens 1987 in „The Living Daylights“ – mit Raketen im Kühlergrill und Schleudersitz inklusive.
Der neue Vanquish Volante folgt somit einer langen Tradition offener Aston-Modelle, die immer mehr waren als bloß Coupés ohne Dach – vom königlichen DB6 bis zum wintertauglichen V8 Volante aus dem Dienst von James Bond. Eine Tradition, die Stil mit Eigenwillen verband und sich nie dem Massengeschmack unterworfen hat.
Fotos: Aston Martin