Lamborghini Fenomeno: Das letzte Wort in V12-Hybrid
Manchmal wirkt es so, als wolle Lamborghini die eigene Vergangenheit übertreffen, indem sie jedes Jahr ein neues Kapitel in Stein meißeln. Fenomeno heißt das jüngste Monument aus Sant’Agata Bolognese – und wie bei allen großen Stieren der Marke steckt mehr dahinter als ein überzüchtetes Showcar für Monterey. 29 Exemplare, ein Hybrid-V12 mit 1.080 PS und ein Design, das zwischen Tradition und Zukunft pendelt.

Ein Hybrid als Höhepunkt der V12-Ära
Lamborghini baut keine Motoren, sie inszenieren sie. Der 6,5-Liter-V12 im Fenomeno liefert allein 835 PS, dreht bis 9.500/min und klingt wahrscheinlich so, als würden ein Opernsänger und eine Kettensäge gleichzeitig alles geben. Dazu kommen drei E-Motoren mit weiteren 245 PS, gespeist von einer 7,0-kWh-Batterie. Macht in Summe 1.080 PS – die höchste Gesamtleistung in der Geschichte der Marke.
Das Drehmoment: 725 Nm aus dem Verbrenner, plus 350 Nm je Elektromotor an der Vorderachse. Dazu ein Radialflussmotor an der Hinterachse, der je nach Fahrmodus Boost oder Rekuperation liefert. Also Traktion aus allen Richtungen, Torque Vectoring inklusive.
Beschleunigung? 0–100 km/h in 2,4 Sekunden. 0–200 km/h in 6,7 Sekunden. Topspeed: über 350 km/h. Damit ist der Fenomeno nicht nur der schnellste Lamborghini aller Zeiten, sondern auch eine Demonstration, dass Hybridisierung hier nicht Verzicht, sondern Eskalation bedeuten kann.

Few Off Lamborghini Fenomeno/Foto: Lamborghini
Monofuselage und Materialdogma
Das Chassis folgt dem Prinzip der „Monofuselage“. Carbonfaser dominiert alles: Monocoque, Türen, Sitze, Mittelkonsole. Für die Frontstruktur setzt Lamborghini auf Forged Composite®, eine Mischung aus kurzgeschnittenen Carbonfasern in Harz – seit dem Reventón von 2007 ein Markenzeichen.
Warum dieser Aufwand? Gewicht. Mit einem Leistungsgewicht von 1,64 kg/PS bewegt sich der Fenomeno in Regionen, in denen sonst nur Rennwagen unterwegs sind.
Die Bremstechnik trägt das Etikett „CCM-R-Plus“ und ist eine Weiterentwicklung aus dem LMDh-Rennprogramm: Carbon-Keramik mit 3D-Carbonmatrix, entwickelt für Stabilität unter Bedingungen, in denen andere Systeme längst aufgeben. Dazu Rennstoßdämpfer mit manueller Kalibrierung – eine Reminiszenz an die Zeiten, in denen man Fahrwerke noch mit Werkzeug statt mit Software einstellte.

Few Off Lamborghini Fenomeno/Foto: Lamborghini
Aerodynamik als Ingenieurstück
Lamborghini hat sich beim Fenomeno nicht mit ein paar Spoilern begnügt. Vorderer Splitter, S-Duct-System, konkaves Dachprofil, NACA-Kanäle in den Türen – jedes Detail lenkt Luft, kühlt Komponenten oder sorgt für Anpressdruck. Der bewegliche Heckflügel im Omega-Design choreographiert Luftströme und stabilisiert den Wagen jenseits der 300 km/h.
Das Ergebnis ist eine um 30 Prozent effizientere Seitenkühlung als bei Serien-V12-Modellen. Der Fahrer kann dadurch länger Vollgas geben, ohne dass Thermik oder Bremsen einknicken.

Few Off Lamborghini Fenomeno/Foto: Lamborghini
Hypereleganz mit Longtail
Designchef Mitja Borkert nennt das Thema „hyperelegant“. Tatsächlich ist der Fenomeno ein Longtail-Lamborghini, mit einer Silhouette, die flacher wirkt als alles, was die Marke bisher auf die Straße geschickt hat. Die Seitenlinie: eine einzige Kante von der Haube bis ins Heck, inspiriert vom Essenza SCV12.
Die Front trägt ein Y-Thema mit großen Luftdurchlässen, die Rücklichter zitieren das ikonische Y vertikal, die Auspuffendrohre formen ein Hexagon. Dazwischen sitzt das neue Lamborghini-Logo, das 2024 eingeführt wurde.
Am auffälligsten bleibt die Haltung: Räder sichtbar ausgestellt, Heck breit und aggressiv, dazu die gelbe Launch-Farbe „Giallo Crius“. In Summe wirkt der Fenomeno weniger wie ein reiner Supersportler, sondern mehr wie eine fahrende Designstudie, die zufällig 1.080 PS hat.

Few Off Lamborghini Fenomeno/Foto: Lamborghini
Das Cockpit
„Feel like a pilot“ ist seit Jahren ein Lamborghini-Mantra. Im Fenomeno wird daraus fast ein Dogma. Carbon-Rennsitze, neue Schalenkonstruktion, minimalistische Mittelkonsole. Bedient wird über drei digitale Screens und haptische Kippschalter, inspiriert von Flugzeugen.
Die Ambientebeleuchtung inszeniert den Innenraum wie ein Sci-Fi Raumschiff. Gleichzeitig erlaubt das Ad-Personam-Programm die übliche Maßanfertigung: 400 Außenfarben, nahezu unbegrenzte Innenraumoptionen. Man könnte also auch einen Fenomeno in Rosa mit Goldsitzen ordern – wenn man den Mut dazu hat.

Few Off Lamborghini Fenomeno/Foto: Lamborghini
Reifen, die das alles aushalten müssen
Bridgestone liefert die Reifen – Potenza Sport, maßgeschneidert für die 21-Zoll-Felgen vorne und 22 Zoll hinten. Serienmäßig mit Run-Flat-Technologie, optional als Semi-Slicks für die Rennstrecke, aber straßenzugelassen. Entwickelt mit Virtual Tire Development, was weniger nach Motorsport und mehr nach Nachhaltigkeitsbericht klingt. Am Ende zählt nur: Sie müssen 1.080 PS, 350 km/h und 2,4 Sekunden von 0 auf 100 überleben.

Few Off Lamborghini Fenomeno/Foto: Lamborghini
Tradition der Few Offs
Seit 2007 nutzt Lamborghini seine limitierten „Few Off“-Modelle als Versuchsfelder, um Thesen in Carbon und Aluminium zu gießen. Der Reventón eröffnete die Reihe mit seiner kantigen, vom Militär inspirierten Formensprache und bereitete den Weg für eine radikale Carbon-Ästhetik. 2010 folgte der Sesto Elemento, der nicht Geschwindigkeit, sondern Leichtbau zum Dogma erhob und mit nur 999 Kilogramm zeigte, wie weit man den Werkstoff treiben konnte. Drei Jahre später trat der Veneno auf, ein rollendes Aerodynamik-Labor, das die Grenzen von Abtrieb und Straßenzulassung auslotete. Der Centenario von 2016 war dagegen ein Geburtstagsgeschenk und zugleich ein Technologieträger für neue V12-Architekturen. 2019 wagte Lamborghini mit dem Sián erstmals die Verbindung von V12-Tradition und Hybridtechnik, allerdings noch in Form eines experimentellen Superkondensators. 2021 schließlich kehrte man mit dem Countach zu den Wurzeln zurück, ein Retro-Manifest, das die Ikone der Siebziger in die Gegenwart übertrug.
Der Name geht zurück auf einen Stier, der 2002 in Morelia, Mexiko, gekämpft hat – und wegen seiner Qualitäten begnadigt wurde. Im Spanischen wie im Italienischen bedeutet „Fenomeno“ schlicht phänomenal.
Ein Schlusspunkt, kein Ausrufezeichen
Ob man den Fenomeno jemals auf der Straße sieht, ist fraglich. 29 Stück, Preis jenseits der achtstelligen Summe, Kunden längst ausgewählt. Trotzdem ist er mehr als ein Sammlerobjekt. Er ist das letzte Wort in einer Sprache, die bald nicht mehr gesprochen wird.
Fotos: Lamborghini