De Tomaso P72: Wiederauferstehung
De Tomaso – das war einmal ein Name, den man eher in der automobilen Ahnengalerie verortete, irgendwo zwischen Iso Rivolta und Bizzarrini. Schön, wild, ein bisschen vergessen. Dann kam 2019 und das Goodwood Festival of Speed. Und plötzlich war De Tomaso wieder da und präsentierte den P72.
Die Geschichte dahinter? Ein bisschen Größenwahn, ein bisschen Sentimentalität – aber vor allem viel Substanz. CEO Norman Choi holte die Marke 2014 aus dem Koma, grub sich durch die Archive und fand einen unvollendeten Mythos: den P70. Ein Projekt von Alejandro de Tomaso und Carroll Shelby, gezeichnet von Peter Brock, gebaut von Fantuzzi – aber nie richtig zu Ende gedacht. Der P72 soll das jetzt nachholen.

De Tomaso P72/Foto: De Tomaso
De Tomaso P72: Analoge Hommage mit LMP-Struktur
Mit dem P72 präsentiert De Tomaso einen Supersportwagen, der bewusst gegen den Strom der gegenwärtigen Entwicklung in der Hochleistungsfahrzeugbranche schwimmt. In einer Zeit, in der die Integration von Hybridtechnologien, aktiven Fahrwerksystemen und digitalen Bedienoberflächen den Ton angibt, setzt der P72 auf eine Rückbesinnung auf klassische Prinzipien des Automobilbaus – formal wie technisch. Das Modell basiert auf einem Projekt von 1965 und stellt damit eine direkte Weiterführung einer historischen Designidee dar.

De Tomaso P72/Foto: De Tomaso
Historischer Ursprung: Der P70 als technischer Vorläufer
Die Konstruktion des P70 umfasste ein Rückgratrahmen-Chassis mit Mittelmotor-Layout, eine extrem flache Karosserie und eine auf maximale aerodynamische Effizienz ausgelegte Form. Alejandro De Tomaso stellte das Fahrzeug als „Sport 5000“ auf dem Turiner Autosalon 1965 aus. Es blieb ein Einzelstück – mit großem Einfluss.

De Tomaso P72/Foto: De Tomaso
Formale Anleihen und konstruktive Umsetzung
Der P72 greift zentrale Designmerkmale des P70 wieder auf: ein langgestrecktes, niedriges Coupé mit fließenden Übergängen zwischen Karosserie und Radläufen, großer Glaskuppel und ausgeprägten Rundungen im Bereich der Kotflügel. Im Unterschied zu vielen aktuellen Supersportwagen – etwa einem Ferrari SF90 Stradale oder McLaren 750S – verzichtet der P72 vollständig auf scharfkantige Linienführung oder aggressive Lufteinlässe. Stattdessen dominiert eine geschlossene, aerodynamisch kohärente Grundform, die an Fahrzeuge der späten 1960er Jahre erinnert, beispielsweise den Ford GT40 MkIII oder den Porsche 906.
Technisch basiert der P72 auf einem Kohlefaser-Monocoque, das ursprünglich für den Einsatz in der LMP1-Kategorie des Langstreckensports entwickelt wurde. Die Struktur ist auf minimale Torsion bei gleichzeitig geringem Gewicht ausgelegt und erfüllt die aktuellen FIA-Crashtestnormen. Im Gegensatz zu vielen aktuellen Modellen dieser Fahrzeugklasse verzichtet der P72 jedoch auf eine umfangreiche Integration aktiver Fahrwerksmodule oder variabler Aerodynamikelemente.

De Tomaso P72/Foto: De Tomaso
Antrieb und Fahrkonzept
Während Fahrzeuge wie der Aston Martin Valkyrie oder der Mercedes-AMG One auf Hybridisierung, Mehrgang-Getriebe und komplexe Antriebssteuerungen setzen, verfolgt der P72 eine bewusst puristische Philosophie. Geplant ist ein kompressorfreier V8-Motor in Saugversion, der mit einem manuellen 6-Gang-Getriebe kombiniert wird. Der Motor wird als Mittelmotor längs eingebaut und treibt die Hinterräder über ein konventionelles Sperrdifferenzial an.
Leistungsdaten wurden bisher nicht veröffentlicht, doch lässt sich auf Basis des Fahrzeuggewichts von etwa 1.200 bis 1.300 Kilogramm und eines erwarteten Leistungsbereichs von 600 bis 700 PS ein Leistungsgewicht von unter 2,0 kg/PS annehmen – vergleichbar mit dem McLaren 765LT oder dem Porsche 911 GT3 RS, allerdings mit einem gänzlich anderen Fahrerlebnis. Die Abstimmung zielt nicht auf Rundenzeiten oder Trackday-Nutzung, sondern auf ein direktes, lineares Ansprechverhalten ohne elektronische Eingriffe.

De Tomaso P72/Foto: De Tomaso
Innenraum: Analoger Gegenentwurf
Ein zentrales Merkmal des P72 ist das Interieur. De Tomaso verzichtet auf Touchscreens, vernetzte Infotainmentsysteme und Over-the-Air-Updates. De Tomaso inszeniert das Cockpit als rein analoge Fahrumgebung. Mechanische Instrumente, Schalter aus Aluminium und Leder, Sichtcarbon und handgefertigte Elemente bestimmen das Bild. Damit setzt sich der P72 auch in dieser Hinsicht von Modellen wie dem Bugatti Chiron oder dem Koenigsegg Jesko ab, die auf performative Datenvisualisierung setzen.
Positionierung im Marktumfeld
Der P72 ist auf 72 Exemplare limitiert, jedoch ist dies nach Angaben des Herstellers kein reines Sammlermodell. Vielmehr versteht sich der P72 als fahrbarer Ausdruck einer alternativen Denkweise im Segment der Hochleistungsfahrzeuge. Ähnliche Positionierungen finden sich etwa beim Pagani Huayra (insbesondere in der Codalunga-Version) oder dem Ferrari Monza SP1/SP2 – Fahrzeuge, die weniger auf Leistungsdaten als auf ästhetische Kohärenz und konzeptionelle Reinheit ausgelegt sind.
Enthüllung des finalen Serienmodells
Jetzt hat De Tomaso hat ein internes Produktionsmodell vorgestellt, das außerhalb der auf 72 Einheiten limitierten Serie gefertigt wurde. Ziel ist es, die finale technische und formale Umsetzung zu demonstrieren. Ob das Projekt darüber hinaus eine technologische Weiterentwicklung erfahren wird, ist offen. Angesichts der in der EU absehbaren Verschärfungen im Bereich der Abgasnormen erscheint eine langfristige Zulassung solcher Fahrzeuge allerdings nur über Sonderregelungen realistisch.